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Veranstaltung an der Gedenkstele 9. November 2023

11. 11. 2023

3. März 1933 – Nohra, Thüringen - das erste offizielle Lager im NS-Staat. Nachdem das Lager am 03.03.1933 errichtet worden war, erhielt es wenige Tage später, am 08.03., auch offiziell den Namen "Konzentrationslager". Es waren in Nohra ausschließlich politische Häftlinge untergebracht. Es waren noch keine Juden, Sinti und Roma oder homosexuelle Menschen. "Die Insassen waren KPD-Angehörige und zwar vorwiegend leitende KPD-Angehörige. Die Hälfte der KPD-Landtagsfraktion war in Nohra inhaftiert.“


Gegner des NS-Regimes, Kommunisten, engagierte Christen, Juden, Sinti und Roma, Zeugen Jehovas, Homosexuelle - bei allen, die ihnen nicht genehm waren, wussten die Nazis sofort nach ihrer Machtübernahme am 30. Januar 1933, wohin mit ihnen: in Konzentrationslager. Das erste große Lager wurde schon knapp zwei Monate später, am 22. März, im oberbayerischen Dachau eröffnet - als Prototyp: "In Dachau ist die Lagerordnung für alle späteren KZ erfunden worden", so der Historiker Wolfgang Benz.

 

Die Liste der Konzentrationslager des Deutschen Reichs schockiert uns noch heute. Die Arten der Lager sind in ihrem Pragmatismus erschreckend: Sammellager, „Umerziehungslager“, Durchgangslager, Konzentrationslager, Frauen-Konzentrationslager, Jugendkonzentrationslager für Jungen, Jugendkonzentrationslager für Mädchen, Vernichtungslager. 

Deutschland, Polen, Tschechien, Österreich, Ukraine, Italien, Frankreich, Kroatien, Griechenland, Niederlande, Slowakei, Luxemburg, Belgien…

Das war schon später. Aber diese Aktionen begannen hier in Deutschland schon kurz nach der Machtergreifung der Nazis im Januar 1933. Etwa 5 Jahre wurden Konzentrationslager, neue Gesetze und massive Propaganda benutzt, um die deutsche Gesellschaft umzubauen. 5 Jahre brauchte die deutsche Gesellschaft, um so vom nationalsozialistischen Geist durchdrungen zu werden, dass man bereit war, ein ganze Menschengruppe überall in Europa mit ihrer Religion und Kultur zu zerstören.

 

Wie verführerisch und gleichzeitig entsetzlich klang und klingt das Wort :“Kristallnacht“.

Mit diesem Wort wurde der deutschlandweite Pogrom in der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 von den Nazis später auch bezeichnet..

In einer Ausstellung des Jüdisches Museums Berlin heißt es dazu: „Ungefähr 400 Menschen wurden ermordet oder in den Suizid getrieben. Über 1.400 Synagogen und Betstuben sowie etwa 7.500 Geschäfte und Wohnungen wurden zerstört, jüdische Friedhöfe und andere Einrichtungen der Gemeinden wurden verwüstet.

In den Tagen danach verhaftete die Gestapo etwa 30.000 jüdische Männer und verschleppte sie in Konzentrationslager.“ (Ende Zitat)

Was weiter passierte, wissen wir ganz gut. Fast jede jüdische Familie in Europa war letzten Endes vom Vernichtungsfeldzug der Nazis gegen die Juden betroffen. Krieg ist immer blindwütig und unmenschlich, aber der 9. November ist bis heute unser gemeinsamer Tag des Erinnerns und Gedenkens genau an diese Geschehnisse, und wir treffen uns jedes Jahr an dieser Gedenkstele, um Solidarität zu zeigen und zu empfangen. Es ist in den vergangenen Jahren hier so viel Wichtiges dazu gesagt worden, dass ich zunächst glaubte, nichts Neues mehr dazu sagen zu können.

 

Trotzdem möchte ich nun heute doch gern mit Ihnen allen reden. Natürlich hat jeder von uns seine eigene Familiengeschichte. Erinnerungen unserer Verwandten hinterlassen Spuren bei uns allen. Das Erbe unsere Vorfahren – es ist unser genetisches Gedächtnis: Einschätzungen der Vergangenheit und Gegenwart, unsere Ängste und Hoffnungen. Auf Grund der Geschehnisse zwischen 1933 und 1945 in Deutschland und deren Auswirkungen auf ganz Europa sind unsere Familienchroniken sehr unterschiedlich, aber eben deswegen sprechen wir ja miteinander. Wir wissen ganz gut, wie gefährlich der Hass auf eine bestimmte Menschengruppe ist - für beide Seiten.

 

Ich bin mit der festen Überzeugung aufgewachsen, dass der Nationalsozialismus und der Zweite Weltkrieg vorbei sind und sich nie wiederholen werden. Ich war immer sicher, dass die Reichspogromnacht unsere Vergangenheit ist, die nie wieder kommen wird. Ich denke, ich bin nicht die Einzige, die so gedacht hat.

Die letzten Wochen haben uns gezeigt, dass sich unsere schlimmsten Ängste wider belebt haben: die Juden sollen sterben, weil sie die Juden sind. Manche sagen: das liegt an der falschen Politik in Israel. Ja? Wirklich? Und deswegen lesen wir über Pogromaufrufe in der ganzen Welt? Schauen Sie bitte dorthin. Wie konnten wir so eine politische Situation in Deutschland zulassen, dass Deutschland gezwungen ist, die jüdischen Einrichtungen so stark zu schützen?

 

Ich frage mich: was können wir tun, um Antisemitismus zu vermindern? Ist es überhaupt möglich, den Judenhass unmöglich zu machen?

Ich habe keine Antworten auf diese Fragen. Bei mir gibt es nur Hoffnung, dass es doch möglich ist. Deswegen stehe ich heute da und rede mit Ihnen. Mein großer Wunsch ist: Unsere Familien, Freunde, Mitmenschen, alle Menschen in Deutschland, in Israel, in der Welt sollen im Frieden leben. 

Unsere Vorfahren haben das für uns verdient.

 

 

Bild zur Meldung: Gedenkveranstaltung 09.11.2023